Der Tod und das Mädchen
Das Mädchen:
Vorüber! Ach vorüber!
Geh wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.
Der Tod:
Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund, und komme nicht, zu strafen:
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen.
Mathias Claudius, 1774
Der Tod und das Mädchen ist ein Thema, das seit dem 16. Jahrhundert in verschiedenen Kunstgattungen bearbeitet wurde. Der Tod taucht in den Szenen als unheimliches Wesen oder als Verführer auf. In dem Gedicht von Matthias Claudius, der auch als Grundlage für Franz Schuberts Kunstlied Der Tod und das Mädchen (1817) diente, zeigt sich der Tod als Freund, der dem Mädchen eine sanfte Umarmung anbietet, und nicht als etwas Fürchterliches. Meine Intention war, diesen Dialog darzustellen. Hierfür verwendete ich verschiedene Techniken, um Realität und Alptraum in einem Bild zu vereinigen.
Ich hatte einen wiederkehrenden Traum, in dem die Elemente dieses Bildes erschienen. Ich sah durch ein langes hohes Fenster ein seltsames Wesen, das von einem Sack bedeckt war. Plötzlich wurde das Fenster dunkel und das Bild verschwand. Ich wachte auf und zeichnete, was ich gesehen hatte. Der Traum kam wieder und ich wusste, dass ich ihn irgendwie bannen musste. Manchmal glaubte ich, eine zweite Person neben der bedeckten Gestalt zu erahnen. Ich fertigte verschiedene Versionen meiner Vision an. Dann erinnerte ich mich, dass ich vor längerer Zeit eine Kopie des Bildes Das Mädchen und der Tod, (1894) von Edvard Munch angefertigt hatte. Die Erinnerung daran machte mir klar, wovon mein Traum handelte. In jener Zeit arbeitete ich am Institut für Bildende Kunst in Marburg und experimentierte mit verschiedenen druckgrafischen Techniken, unter anderem mit Fotoradierung. Ich dachte, eine Verschmelzung verschiedener Techniken wäre die richtige Antwort auf die Frage der Bildfindung und Darstellung. Ich musste die bedeckte Gestalt aus meinen Traum einfangen und ein Mädchen aus der Realität in die Welt meiner Bilder bringen. Ich fotografierte ein Modell und wandelte das Foto in eine schwarz/weiß Darstellung mit starkem Kontrast und feinem Raster um. Dann bereitete ich die Kupferplatte vor, in dem ich die Oberfläche so gut wie möglich für die Bildübertragung polierte. Anschließend besprühte ich die Kupferplatte mit einer lichtempfindlichen Farbschicht. Das Verfahren der Belichtung und Entwicklung ist ähnlich wie in der analogen Fotografie, mit dem Unterschied, dass ich mein Bild auf einer Kupferplatte entwickele. Man kann sagen, dass ich eine Daguerreotypie gemacht habe, eine der ursprünglichen Techniken der Fotografie. Nachdem ich die Fotografie auf die Kupferplatte übertragen hatte, bereitete ich die Platte für das Säurebad vor und bedeckte die Flächen, die weiß bleiben sollten. An den freien Stellen konnte die Säure das auf der Kupferplatte entwickelte Bild angreifen. Dann nahm ich die Platte aus dem Säurebad und entfernte den Lack und die Reste der Farbschicht.
Im nächsten Schritt fügte ich den bedeckten Tod aus meinem Alptraum hinzu. Hierfür verwendete ich die traditionellen Techniken der Kaltnadel und Aquatinta. Ich kratzte, polierte und überführte die Erscheinung des Todes in die Komposition. Ich setzte eine Aquatinta für die verdunkelte Ecke des Fensters und kratzte eine Reihe von Linien über die Figuren, um Spannung zu erzeugen. Ich wiederholte den kompletten Prozess mit einer zweiten Platte und behielt zum Schluss die bessere von beiden, denn es sollte nichts dem Zufall überlassen werden.
Juan Miguel Restrepo, 2017
Dresden
Unter dem Titel „Magie und Realismus“ zeigt die Galerie Felix eine spannende Schau mit Ölbildern und Zeichnungen des jungen kolumbianischen Malers und Grafikers Juan Miguel Restrepo. Bevorzugte Themen des Künstlers sind Tierbilder und Stillleben, in denen er sich sowohl mit den Alten Meistern als auch mit den Erfahrungen des Tierfreundes beschäftigt. Oft sind seine Bilder eine Synthese aus lateinamerikanischer Kunst und europäischer Malerei. Die altmeisterliche Malweise mit Lasur und Firnis eignet sich indigene Traditionen an, vor allem bei den zahlreichen exotischen Vogelbildern, die er uns wie ein Spiegel für die 4 Temperamente des Menschen vor Augen hält. Warum sollen da keine Ähnlichkeiten bestehen und Tiere auch ihr eigenes Temperament haben? Restrepo sieht im Tier den Menschen und umgekehrt. Auch als Hundefreund malte er die „Maternita“ (Mutterschaft), ein reizvolles Bild mit jungen Mischlingen und ihrer Mutter. Ein Triptychon, im Ausstellungsraum zentral gehangen, ist ein Bekenntnis zur Passion der Kunst und zeigt einen das ganze Bild dominierenden Papagei, umgeben von Yucca-Palme und Pflanzenampel, der bis heute in Südamerika ein Statussymbol der Aristokratie darstellt.
Restrepo lebt seit einigen Jahren mit seiner Frau und seiner Tochter Matilda in Dresden. Er absolvierte in seiner Heimatstadt Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, ein Architekturstudium an der Universität del Valle. Von 2009 bis 2014 studierte er an der Philipps-Universität in Marburg Kunstgeschichte, Bildende Kunst und künstlerische Konzeptionen. Das kunstgeschichtliche Studium zahlte sich aus: Immer wieder beschäftigte er sich mit den holländischen Meistern des natur morte, mit ihren akribisch-naturalistischen Vanitasversionen. Auch die Dresdner Gemäldegalerie ist für ihn zum unverzichtbaren Studienort geworden. Neben den naturgenauen Bildern fasziniert ihn die Rolle des Symbols in der holländischen Malerei. Oft kehrt die Taschenuhr, ein Symbol für Zeit und Vergänglichkeit, auch in seinen Bildern wieder. Daneben sind Blumen (Rosen) und Insekten, vor allem aber verschiedene Käferarten (Hirschkäfer) immer wiederkehrende Bildelemente. In seinen eigenen Bildern finden sich dementsprechend kunstgeschichtliche Zitate, Verweise auf Gesehenes, aber auch auf Weltliteratur, wie im Stilleben „Samsas Traum“, das eine Anspielung auf die von Franz Kafka 1912 geschriebene berühmte Erzählung „Die Verwandlung“ darstellt: Gregor Samsa wacht eines Morgens als unansehnliches Insekt auf und verliert von Tag zu Tag das Interesse und die Zuwendung seiner Verwandten, die sich schließlich voller Abscheu von ihm abwenden und ihn seinem Schicksal überlassen.
Neben den zahlreichen grotesk-skurrilen Vogelbildern, die sowohl reale Arten als auch in der Fantasie entstandene Mischformen darstellen, gilt das Interesse von Restrepo vor allem den Frührenaissance-Meistern Cimabue und Giotto. Ein Fragment zu einer Abendmahlszene von Giotto (der sich selbst darstellende Künstler hält sich das linke Auge mit der Hand zu) hat im Büro der Galeristin Platz gefunden. Auch Themen von Heiligenbildern interessieren ihn stark, wie die Legenda Aurea und der „Sonnengesang“ von Franz von Assisi. Seit seinem Studium hat die Magie Einzug in die Malerei von Restrepo gehalten. Der „Magische Realismus“ ist ein Begriff, der auf seine Arbeiten angewendet werden kann. Mythen haben in seinem Werk eine große Bedeutung. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt, bezog sich dieser Begriff auf die neben Verismus und Expressionismus entstehende, surreal gefärbte Malerei in Europa, die nach dem 2. Weltkrieg zunehmend für Lateinamerika evident wurde. Der „Magische Realismus“ fasste dort als fester Begriff besonders in der Literatur Fuß, indem sie europäische Elemente mit indigener Stilistik verband.
Bis 9. November verlängert. Galerie Felix, Pillnitzer Landstraße 7, 01326 Dresden. Kontakt: 0351/ 32 25 57 27, 0160 215 68 42 www.galerie-felix.de geöffnet: Di-Fr 15-18 Uhr Sa und So 11-13 Uhr.
Von Heinz Weißflog
In Juan Miguel Restrepo vereinen sich die Einflüsse von zwei Kontinenten: Europa und Südamerika. Er ist in Kolumbien geboren und absolvierte ein Architekturstudium an der Universität del Valle in Cali. Von 2009 bis 2014 studierte er an der Philipps-Universität in Marburg Kunstgeschichte, Bildende Kunst und künstlerische Konzeptionen. Vor kurzem ist er von Marburg nach Dresden übersiedelt.
Juan Miguel Restrepo ist ein Künstler, der sein Metier so vollkommen beherrscht, dass seine Werke die Kraft eines Symbols erlangen. Viele Jahre hindurch beschäftigte er sich mit den Techniken und Themen der Alten Meister, was fast zwangsläufig zur Folge hat, dass viele seiner Inspirationen der antiken Mythologie und der Bibel entlehnt sind. Man meint mitunter einen niederländischen Maler des Frühbarocks vor sich zu haben. Es kommt die Frage auf, in wieweit das Mythologische und Historische in der heutigen Kunst eine Form findet. Glücklicherweise haben die zeitgenössischen Künstler seit längerem den Bildungsstaub abgetragen, den das 19. Jahrhundert auf der Mythologie und der Historie angesammelt hatte. Was da zutage kam sind keine klassischen Marmorbilder oder endgültig ausgeprägte Gestalten, sondern phantastisch bildsames Material, das nach neuer, unverbrauchter Interpretation verlangt. Es gilt, den mythischen Stoff in unsere Zeit zu transponieren.
Wie die Surrealisten zu Beginn der 20iger Jahre, hat auch Juan Miguel die Symbolik zum Jagdgebiet erwählt und treibt seine teils tiefsinnigen, teils makabren Spiele damit. Medusa entfaltet ihr zwiespältiges Wesen. Ein stolzer Hahn, wachsamer Verkünder des Tages, schreitet auf einem Boden aus kolonialen Fliesen aus dem Dunkel ins Licht. Ein ähnlicher, sorgfältig gemalter Bodenbelag, Azulejos genannt, schmückt das Werk mit der wohl ungewöhnlichsten Raumaufteilung, die Darstellung eines Papageis auf seiner Stange, auch heute noch in vielen Teilen Südamerikas ein Statussymbol.
Die starke Präsenz der europäischen Kunstgeschichte vermischt sich im Werk von Juan Miguel Restrepo mit dem Einfluss des südamerikanischen Magischen Realismus, einer Kunstrichtung, die in der Neuen Welt eine große Rolle spielt, besonders in der Literatur. Das Übersinnliche, Rätselhafte, Geheimnisvolle wird in eine alltägliche Erfahrungswelt integriert, stellt diese aber nicht in Frage. Besonders deutlich wird diese Dualität in der Serie „Naturalienkabinett“. Es sind phantastische Vogelköpfe, die in einem geheimnisvollen Bezug zu ihrem Umfeld, besonders zum Bildhintergrund, zu stehen scheinen, aber Prototypen der griechischen Charaktere darstellen, der Choleriker, Phlegmatiker, Sanguiniker, Melancholiker …
In einer meisterlichen Beherrschung von Form und Farbe, präsentiert der Künstler viele seine Arbeiten in unterschiedlichen Größen und Anordnungen der Rahmen, auch innerhalb eines Themas. Es hat die Atmosphäre eines Bühnenbildes, einer authentischen „Mise en scéne“.
Lieselotte Rojas Sanoja, 2016
Facuts infectus
Diese Arbeit besteht wie Altartafeln aus drei Teilen mit dem Unterschied, dass die Leinwände vertikal übereinander angeordnet sind, anstatt der Mitteltafel horizontal zu Rahmen. Die Komposition ergibt sich aus der Anordnung der Leinwände. Es existiert eine visuelle Verbindung zwischen dem zentralen Bild und der unteren Leinwand. Zudem verstärken Schläuche, welche die Leinwände physisch verbinden, die symbolische Beziehung zwischen den drei Teilen.
Als Ausgangspunkt für diese Arbeit habe ich das Gemälde „Die Beweinung Christi“ (Tempera auf Leinwand, 66 x 81,3 cm, 2. Hä. 15. Jh, Pinakotheka di Breda, Mailand) von Andrea Mantegna (1443–1506) verwendet. Das Pendant zur Figur Christi auf der oberen Leinwand ist eine menschenähnliche Figur, die in perspektivischer Verkürzung vom Kopf bis zu den Füßen abgebildet ist. Hier interpretiere ich den Körper Mantegnas und konstruiere eine Anatomie zwischen Mensch und Maschine, die ein Äquivalent zu Erwartungen und Möglichkeiten der Humanmedizin darstellt. Hier versuchte ich eine Analogie zwischen menschlicher Anatomie und Maschinen herzustellen. In der Figur Mensch-Maschine verbindet sich das Fleisch mit der Maschine, überschneidet sich die Oberfläche des Inkarnats in einer aufwändigen Konstruktion mit geometrischen Elementen. Diese Figur hat eine enge Beziehung zum Mittelteil des Triptychons. Der großformatige Mittelteil stellt grafisch eine Art Maschine dar, von der ausgehend Kabel die visuelle Verbindung zwischen den drei Teilen herstellen.
Wenn wir die Bilder betrachten, führt uns der untere Teil des Triptychons aufgrund der perspektivischen Darstellung durch den Mensch-Maschine-Körper. Die Kabel leiten über zum Mittelteil und von dort wiederum zum oberen Teil. Die Christusfigur leitet unseren Blick wieder aus dem Bild heraus. Das erzeug eine Kreis formige Komposition die auserhalt des Bildes raum sich erweitert. Das monumentale Format des Bildes verstärkt den imposanten Charakter der Szene und des Geschehens. Die Position der drei Leinwände bildet die Form eines Kreuzes und spielt auf den religiösen Charakter der Szene an – das Leiden Christi steht in Parallele zum Leiden des Menschen heute. Vor dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts kann das Bild dahingehend interpretiert werden, dass Technologie und Wissenschaft zwar zum Wohle des Menschen eingesetzt werden können, aber zugleich sein Leiden verlängern und seine Würde in Frage stellen.
Juan Miguel Restrepo, 2015
Absentia Spiritus – Abwesenheit des Geistes
Diese Arbeit ist ein Diptychon, deren zwei Teile aus unterschiedlichen Formaten bestehen. Ausgangspunkt für das Motiv der stehenden Frau ist das Werk „Enthauptung des Täufers“ (Öl auf Leinwand, 361 x 520 cm, 1608, La Valetta, Malta) des italienischen Meisters Michelangelo Merisi de Caravaggio (1571–1610). Vorbild für das Motiv der zweiten Leinwand ist die Totenmaske des französischen Künstlers Théodore Géricault (1791–1824). Die Maske wurde nach seinem frühen Tod direkt von seinem Gesicht abgeformt.
Auf dieser Grundlage schuf ich eine Komposition, deren zwei Teile aus zwei verschiedenen Formaten bestehen. Beide Sujets sind dergestalt komponiert, dass sich zwei Kombinations- und Lesemöglichkeiten der Leinwände ergeben. In der ersten Kombination bei der vertikal versetzten Hängung vermittelt die weibliche Figur mit der Schale in den Händen den Eindruck, sie wolle weiter in den sich rechts öffnenden Raum gehen, der sich durch den Versatz der zweiten Leinwand ergibt. Diese Leerstelle fordert den Betrachter auf, den Bildraum mental zu ergänzen und den Schritten der Frau zu den Füßen des verschwunden Körpers des Künstlers zu folgen.
Die zweite Kombination richtet beide Leinwände an der unteren Bildkante horizontal aus. Dadurch trennt sich die Komposition in zwei Raumebenen. Der in der ersten Kombination erweiterte Raum wird nun durch die rote Fläche der zweiten Leinwand mit dem Gesicht Géricaults begrenzt. Es scheint, dass hinter der zweiten Leinwand ein verborgender Raum existiert, zu deren Richtung sich die Frau bewegt. Die Bedeutung dieses Bild ist verbunden mit Leben und Werk Géricaults, der ironische Weise nach seinen Tod und durch seine Totenmaske als Symbol eines tragischen Künstlers Schicksals umwandelte und in zahl reiche Ateliers von junge Künstler des 19. Jahrhundert aufgehängt wurde. Die Verwendung der Totenmaske Géricaults löste unter einstigen Freunden und Bewunderern dieses Künstlers allerdings Empören aus, denn sie sahen ihn darin nicht repräsentiert. Es stellte nicht die wirkliche Erinnerung an den lebendigen Géricault dar. diese Debatte des 19. Jahrhunderts verstärkt die Idee von „Absentia spiritus“, indem sie die Materialität der Existenz (in Form der Totenmaske) sowie die Abwesenheit des Geistes thematisiert.
Juan Miguel Restrepo, 2015
Vanitas vanitatum omnia vanitas
(Eitelkeiten der Eitelkeiten, und alles ist Eitelkeit)
Vanitas ist ein lateinischer Begriff, den man mit „Eitelkeit“ im Sinne von „Leere, Bedeutungslosigkeit“ übersetzen kann. Die Malerei verbindet damit ein bestimmtes Motiv des Stilllebens mit symbolischem Sinn.
Diese Art der Darstellung war während des Barock vor allem in Holland sehr beliebt. Das weiße Tuch formt die Anatomie des Kopfes ab und erzeugt den Eindruck, dass sich die Figur dagegen wehrt und sich von dem Tuch befreien will. Diese Szene kontrastiert mit dem Stillleben der zweiten Leinwand, deren Objekte ruhig und ausgewogen
arrangiert sind: Die Klarheit der Form des Glases, in der das Wasser ruht, das Messer, welches an der Tischkante liegt und die Diagonale der weiblichen Figur wiedererholt, das Obst, welches anscheinend bereits lange Zeit auf dem Tisch liegt, All diese Objekte sind auf einem hohen Tisch mit einer weißen Decke, der sich über den Horizont des Blicks vom Betrachter erhebt und den Eindruck vermittelt, unerreichbar zu sein – sowohl für den Betrachter als auch für die Figur, welche von dem Tuch umfangen wird.
bei „Vanitas vanitatum“ gibt es zwei Kombinations- und Lesemöglichkeiten. In der ersten Kombination dringt die weibliche Figur von links nach rechts dynamisch in die Szene ein, wird aber von dem Tuch zurückgehalten. Die ausgewogene Präsenz des Stilllebens ist vom unerklärlichen Eindringen der Figur gefährdet. Ein Echo dieser Aggressivität scheint sich im Messer zu wiederholen, welches die Diagonale der Figur aufgreift. Diese Bewegung wird durch die Vertikale des fragilen Glases gestoppt, das aber keinen Widerstand gegen die Kraft der gefesselten Figur
leisten kann. Die Harmonie des Stilllebens ist gefährdet von der überwältigenden Präsenz der Frau.
In der zweiten Kombination tritt die Frau von oben in die Szene des Stilllebens. Es scheint ihr unwiderrufliches Schicksal zu sein, auf das Stillleben zu fallen und wie ein Todesengel alles zu zerstören. Die Spannung zwischen dem Stillleben und der Figur ist zugespitzt, denn diesmal scheint nichts die Figur aufhalten zu können. Dieser Effekt wird verstärkt durch das lange Hochformat der beiden Leinwände übereinander. Das Symbol des Todes, wichtiges Element einer Vanitas-Darstellung und meist ein Totenkopf, wird in dieser Arbeit repräsentiert durch den in das weiße Tuch gehüllten Kopf der Frau mit den gebleckten Zähnen. Auf Spanisch bedeutet der Tod „la muerte“ und ist
weiblich. Der Tod bekommt in meinem Bild einen lebendigen und dynamischen Charakter und spielt mit der Ambivalenz von Leben und Sterben. Dadurch wird das Bild wird zum Symbol des Ephemeren.
Juan Miguel Restrepo, 2015